Innehalten, wenn alles nach „mehr“ ruft

Ein Beitrag von Melanie Lindemann 

Ich habe den ondela Online-Kongress 2025 abgesagt.
Und allein dieser Satz fühlt sich an, als müsse er erstmal tief einatmen dürfen.

Denn nein – es war keine spontane Entscheidung. Und auch kein Zeichen von Scheitern.
Es war eine bewusste, klare und, ja – mutige Entscheidung.

In den vergangenen Wochen wurde mir immer deutlicher, dass die Kolleg:innen in der Eingliederungshilfe aktuell einfach keinen Kopf für digitale Kongresse haben.
Die Aufmerksamkeit gehört dem Alltag vor Ort, den Menschen, den Teams, den Lücken, die jeden Tag neu geschlossen werden müssen.
Ich erlebe das live – mittendrin – wenn ich mit Organisationen arbeite, Workshops leite, Coachings begleite.
Da ist aktuell keine Luft für Streaminglinks, Anmeldeplattformen oder virtuelle Panels.
Da ist Leben. Realität. Verantwortung.

Und inmitten all dessen habe ich gemerkt, dass das, was ondela ausmacht, gar nicht auf einen Bildschirm gehört.
ondela ist geerdet.
ondela ist präsent.
ondela ist Wirken durch Begegnung.

Also habe ich innegehalten – und mich gefragt:
Was ist wirklich unseres? Und braucht es dafür überhaupt einen digitalen „Kongress“ – oder etwas ganz anderes?

Die ehrliche Antwort lautete: Nein, es braucht keinen weiteren Online-Termin im Kalender.
Es braucht Präsenz, Dialog, Körper, Raum, Resonanz.

Darum wird ondela 2026 auf die analoge Bühne gehen – gemeinsam mit den Selbstvertretungen, den Menschen, den Führungskräften und Mitarbeitenden, die Entwicklung nicht „veranstalten“, sondern leben wollen.

Resonanz statt Reichweite

 

Als ich die Speaker:innen über diese Entscheidung informiert habe, wusste ich: Sie ist richtig.
Und was dann zurückkam, hat mich nachhaltig bewegt.

Einer der Speaker, Emilio Bellucci (Geschäftsführer wertkreis Gütersloh, Kiebitzhof gGmbH & Flussbett Hotel), schrieb mir:

„Vielen Dank für Deine offene und klare Mitteilung und vor allem für die Haltung, mit der Du diesen Schritt gehst. Du sprichst aus, was viele spüren: Die Realität in der Eingliederungshilfe ist aktuell von enormem Druck, Veränderung und Unsicherheit geprägt. Genau in solchen Phasen braucht es Formate, die nicht noch mehr fordern, sondern wirklich etwas bewirken. Deine Entscheidung, innezuhalten, zu reflektieren und konsequent neu zu denken, verdient Respekt.

Dass ondela nun 2026 auf die analoge Bühne geht, passt nicht nur zu Eurem Anspruch, sondern auch zur Zeit. Gerade die persönliche Begegnung schafft Verbindung, Vertrauen und Veränderung. Ich freue mich sehr darauf, wenn wir diese Bühne gemeinsam gestalten und den Diskurs mit Selbstvertretungen und Fachkräften stärken.

In diesem Sinne: Danke für Dein Engagement, Deine Klarheit und auf bald im echten Raum.“

Ich war tief berührt, als ich das gelesen habe.
Weil es genau das war, was ich in mir gefühlt habe – nur jetzt in Worte gefasst, die von außen kamen.
Worte, die nicht nur Zustimmung ausdrücken, sondern Resonanz.

Und genau das ist der Punkt:
Resonanz entsteht nicht in der Lautstärke, sondern in der Tiefe.
Nicht durch ständige Beschleunigung, sondern durch bewusstes Innehalten.

Stille ist nicht leer

 

Es war an der Zeit, diesen Raum wieder aufzumachen – für mich, für ondela, für alle, die tagtäglich in Systemen arbeiten, die oft zu laut, zu schnell, zu voll sind.

Diese Absage war keine Niederlage.
Sie war eine Entscheidung für Klarheit, Echtheit und Wirkung.
Eine Entscheidung, die zu dem passt, was ich in den letzten Jahren gelernt habe – beruflich wie persönlich:

Stille ist nicht leer. Sie ist voll.

Voll von Erkenntnis, von Richtung, von Haltung.
Und genau mit dieser Haltung wird ondela 2026 auf die analoge Bühne gehen.
Nicht, um „mehr“ zu machen – sondern um das Richtige zu tun.
Mit Menschen, die etwas bewirken wollen, nicht beeindrucken.
Mit Raum für Begegnung, Reibung, Resonanz.

Weil Entwicklung kein Online-Event ist.
Sondern ein Miteinander, das man spürt.